Porträt Thorsten Müller, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht
(Bild: Manuel Reger/Stiftung Umweltenergierecht)
16.12.2019 | Bioenergie, Energiewendebauen, Erneuerbare Energien, Flexible Energieumwandlung, Industrie und Gewerbe, Start-ups, Stromnetze, Systemanalyse

Deutsches Energierecht: „Eine Komplexität, die nicht nötig ist“

Der viel zitierte regulatorische Rahmen der Energiewende erschwert Innovationen. Das kritisiert Thorsten Müller von der Stiftung Umweltenergierecht. Neben den wissenschaftlichen sollte der Staat auch regulatorische Experimente ermöglichen.

Thorsten Müller ist wissenschaftlicher Leiter der  Stiftung Umweltenergierecht. Seine Forschungsschwerpunkte sind europäisches und nationales Recht für erneuerbare Energien sowie das Energieeffizienzrecht und die Anforderungen an Instrumentenverbünde. Er arbeitet in verschiedenen Forschungsvorhaben, die sich mit dem Ausbau erneuerbarer Energien beschäftigen und berät die Bundesregierung sowie Landesregierungen. Auf der Jahrestagung des Forschungsverbunds Erneuerbare Energien (FVEE) hat er im Oktober 2019 einen Vortrag zur Rolle des regulatorischen Rahmens in der Energiewende gehalten.

In ihrem Vortrag auf der FVEE-Jahrestagung haben sie gesagt, dass wir mit dem Rechtsrahmen, den wir im Moment in Deutschland haben, an der Energiewende scheitern - warum?

Mit dem derzeitigen Rechtsrahmen leisten wir uns so unübersichtliche Strukturen, dass die Unternehmen und Bürger, die die Energiewende umsetzen sollen, ihre Rechte und Pflichten gar nicht mehr genau kennen. Das müssen wir ändern. Dann können die Normadressaten (Anm. d. Redaktion: Personenkreis, an die sich die Regelung eines Gesetzes = einer Norm richtet), wieder genau erkennen, was sie tun sollen und können; und sie können die Chancen ergreifen, die uns die Energiewende bietet.

Wie müsste denn aus Ihrer Sicht das Energierecht verändert werden, damit Innovationen aus Forschung und Entwicklung in die Praxis kommen?

Energierecht ist nicht vom Himmel gefallen, sondern aus ganz verschiedenen Kontexten entstanden und in verschiedenen Ministerien entwickelt worden. Wir haben das Energiewirtschaftsrecht, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, Energieeinsparverordnung usw. Und in einer immer stärker vernetzen Energiewirtschaft müssen diese ursprünglich separierten Bereiche zusammengeführt werden. Damit wir ein Energierecht aus einem Guss haben. Genau das haben wir im Moment aber nicht. Das schafft Komplexität, die nicht nötig ist, und verhindert damit letztlich Innovationen aus der Forschung in den Markt zu überführen.

Sie sagen: Reallabore haben nichts mit Erproben oder Entwickeln zu tun. Was fehlt, um dort hinzukommen?

Die Reallabore sind ein sehr gutes Konzept: Dort werden verschiedenste Akteure aus Wissenschaft, Unternehmen und der Zivilgesellschaft zusammengezogen und setzen gemeinsam große Forschungsprojekte um. In der Umsetzung stoßen sie aber an Hemmnisse: Und zwar immer dann, wenn sie Dinge ausprobieren wollen, die heute im Rechtsrahmen noch nicht abgebildet sind. Zum Beispiel will ein Speicherbetreiber ein neues Messkonzept ausprobieren, das viel günstiger und präziser ist als das, was wir heute nutzen. Das kann er nicht, weil das Energie- und Eichrecht ihm genau vorschreibt, welches Messkonzept er anzuwenden hat. Da gibt es sozusagen unsichtbare Mauern, gegen die Akteure laufen. Sie bekommen eine Förderung für neue Technologien, aber die Anwendung dieser Technologien kann nicht in der Tiefe erfolgen, wie es technisch schon möglich wäre, weil der Regulierungsrahmen das noch nicht zulässt.

 Die Reallabore sind also ein erster Schritt, aber sie gehen noch nicht weit genug?

Genau. Die Reallabore sind insoweit wichtig, dass überhaupt jemand auf die Idee kommt, sich eine Anlage hinzustellen, für die es noch kein Geschäftsmodell gibt. Das würde kein Unternehmen normalerweise machen. Aber dann diese Anlage auch so zu nutzen, wie das in der Zukunft vielleicht mal der Fall ist, das kann heute noch nicht funktionieren, solange sich dieser Anlagenbetreiber genau in dem Rechtsrahmen bewegt, wie sich jeder andere heute auch bewegt. Wir brauchen die Förderung, die ist gut und wichtig. Daneben brauchen wir aber auch regulatorische Experimentierklauseln. Das heißt mehr Freiraum für die Akteure, nur für die Zeit, in der die Förderung läuft. Das würde völlig ausreichen, damit sie andere Dinge tun können, als sie heute tun.

Rückt die Energiewende für uns in die Ferne, weil unser Energierecht keine Experimentierklauseln hat?

Recht setzt zwar Grenzen, aber Recht lässt der Politik ganz viele Möglichkeiten. Die Politik muss das Verfassungsrecht einhalten und europarechtliche Vorgaben, aber innerhalb dieses Rahmens kann Politik gestalten. Viele Schwierigkeiten, die wir im Moment mit der Energiewende erleben, liegen nicht daran, dass das Recht den Gesetzgeber hindert, anders zu handeln. Es fehlt an einem entsprechenden politischen Willen, bestimmte Dinge zu tun: Es liegt nicht am Recht, sondern am Wollen.

Das Interview führte Annika Zeitler, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.

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