Fertigung von Solarzellen
(Bild: ©swoerl - stock.adobe.com)
02.02.2021 | Erneuerbare Energien

Forschungsroadmap zur Digitalisierung in der Photovoltaik veröffentlicht

Digitale Zwillinge, Milliarden simulierter Solarzellen bei laufender Produktion, selbstlernende Fabriken – das Potenzial digitaler Methoden für die Photovoltaik ist enorm. Professor Rolf Brendel vom ISFH und Professor Andreas Bett vom Fraunhofer ISE schildern im Interview ihre Eindrücke von den Arbeiten an der jetzt veröffentlichten Forschungsroadmap.

Portrait von Prof. Dr.-Ing. Rolf Brendel, ISFH
Prof. Dr.-Ing. Rolf Brendel, ISFH (Bild: ISFH)

Die Digitalisierung ist ein allumfassendes Thema. Wie haben Sie es im Workshop und im Anschluss bei der Arbeit an der Roadmap erlebt – war es einfach, hierbei Schwerpunkte zu identifizieren? 

Brendel: Ich würde gerne vorwegschicken, dass digitales Arbeiten für uns Forscher nicht wirklich etwas Neues ist. Wir versuchen ständig, Dinge zu optimieren und bilden sie ständig digital ab. Das wirklich Neue ist jetzt, dass man mit unglaublich großen Datenmengen sehr effizient umgehen kann. Das ist quantitativ etwas Anderes und in der hohen Rechengeschwindigkeit, die dann mit den neuen Methoden verbunden ist, dann schließlich auch qualitativ etwas Neues. Das fand ich schon faszinierend zu sehen.

Portrait von Prof. Dr. Andreas Bett vom Fraunhofer ISE
Prof. Dr. Andreas Bett, Fraunhofer ISE (Bild: Fraunhofer ISE)

Bett: Ich denke, dass wir auch Schwerpunkte benennen können, jedenfalls innerhalb einer Matrix. Die eine Seite wäre, dass wir bei der Datengeneration noch substanziell mehr machen können. In der Folge muss die Datenmenge sinnvoll genutzt werden, also müssen Fragen wie Datenaustausch, Datenspeicherung und die Datenauswertung mit KI-basierten-Methoden untersucht werden. Auf der anderen Seite steht die konkrete Anwendung, bei der die Daten benötigt werden: etwa in der Photovoltaikproduktion, Stichwort Industrie 4.0, wo wir stark mit dem Maschinenbau kooperieren. Digitalisierung spielt auch eine wichtige Rolle bei der Komponentenherstellung, wenn man zum Beispiel an die digitalen Prozessoren im Wechselrichter denkt. Und dann ist da wiederum die Datensammlung aus dem Photovoltaikkraftwerk, die  zur Produktion rückgekoppelt werden sollte. Hier schließt sich der Kreis. Die Gesamtheit der Photovoltaik-Wertschöpfungskette verzahnen zu wollen, ist das, was wir aus dem Workshop ganz gut als Ergebnis ziehen können. 

Brendel: Die Bedeutung des Themas Digitalisierung in der Photovoltaik kommt auch daher, dass es sich um zwei Megatrends handelt. Der Trend zu immer intensiverer Digitalisierung ist lebensumfassend. Das ist ein Megatrend – auch klar erkannt von der Politik. Und der andere Megatrend, der noch nicht so breit erkannt ist, ist die Photovoltaik. Ein Energiesystem der Zukunft ist völlig undenkbar ohne sehr viel mehr Photovoltaik. Daher ist es wichtig, dass Jahrzehnte an Erfahrung von Photovoltaikforschung und Digitalisierung zusammenfließen. Es ist wichtig, dass die Expertenteams sich mischen. Das eine ist wie das andere eine hohe Kunst und kann nicht von der jeweils anderen Seite einfach mal mitgemacht werden.

Download der Forschungsroadmap zur Digitalisierung in der Photovoltaik (pdf)

Konnte der Workshop Ihnen einen überraschenden neuen Ansatz oder eine Erkenntnis für die Digitalisierungsmöglichkeiten in der Photovoltaik aufdecken? 

Bett: Wir kamen nicht von irgendwo daher. Digitalisierung und Photovoltaik gibt es schon länger. Aber ich fand es etwas Neues, sich klar zu positionieren und eine Zukunftsvision zu formulieren, die Digitalisierung und Photovoltaik neuartig zusammenbringt. Zum Beispiel  die komplett selbstlernende Fabrik – das erscheint heute noch weit weg, ist aber eine Vision, wenn man Photovoltaikproduktion und Digitalisierung zusammen denkt.

Brendel: In den Diskussionen habe ich zudem ein paar Beispiele kennengelernt, die wirklich faszinierend sind. Wir simulieren schon immer Solarzellen, aber Solarzellen kommen heute im Sekundentakt oder noch schneller aus den Fabriken. Wenn man so eine Solarzelle mit allen wichtigen physikalischen Prozessen vollständig berechnen will, dann dauert die Simulation länger als die Herstellung einer Zelle. Mit den neuen digitalen Methoden können wir Netzwerke trainieren, die Milliarden von Zellen in kurzen Zeiten berechnen. Das birgt faszinierende neue Möglichkeiten einer kosteneffizienten Auswertung von Produktionsdaten. Das Bewusstsein für solche Möglichkeiten steigt durch den Austausch mit Experten, die so etwas schon ansatzweise gemacht haben. Insofern war der Workshop eine gute Sache.

Welche Aufgaben sollten als erstes angegangen werden? Wo kann man schnell Vorteile für die Photovoltaik erreichen?

Bett: Die schnelle Erfassung von Daten in der Produktion ist eine Aufgabe, die schnell zum Erfolg führen kann. Die Durchsatzzahlen werden derzeit ständig erhöht. Wir brauchen eine entsprechende Sensorik und wir brauchen die entsprechenden Datenaufnahmevolumina. Dadurch sichern wir letztlich die Qualität im Fertigungsprozess. In der Photovoltaik-Anwendung werden die präzisen Wettervorhersagen auch mit Satellitendaten wichtiger. So können die Netzbetreiber den Betrieb des Energiesystems absichern. Wir sind mit unserem Energiesystem in Deutschland jetzt bei 50 Prozent erneuerbare Energien und es wird mehr Photovoltaik dazukommen. Die präziseren Ertragsprognosen sind  also auch für die Resilienz unseres Energiesystems relevant. Das gibt einige Dinge, die ganz schnell eine Wirkung haben werden.

Brendel: Als Photovoltaikforscher müssen wir zuerst fragen, wie bringen wir unser Energiesystem mit Unterstützung von Photovoltaik möglichst schnell auf Vordermann? Dafür nehmen wir viele Stellen des Energiesystems unter die Lupe. Ich vermute: An jeder dieser Stellen kann Digitalisierung sehr vorteilhaft eingesetzt werden. Das erste ist: Wir brauchen einen starken Photovoltaikmarkt in Europa. Man kann Digitalisierung zum Beispiel einsetzen, um den Menschen zu zeigen, wie ihr Haus mit gebäudeintegrierter Photovoltaik in der Fassade aussähe. Der nächste Punkt ist: Wenn wir viel erneuerbaren Strom haben, dann müssen wir den auch unkompliziert mit wenigen Gebühren und Hindernissen austauschen können. Da müssen also Datenströme und elektrische Leistung in großem Umfang fließen. Dann gibt es noch die wichtige Frage der optimalen Betriebsführung von Energiesystemen, die von selbstlernenden, dezentralen Systemen gefunden werden kann. Die Aufgabe und Kunst ist es jetzt, durch Forschung und Entwicklung die Stellen herauszufinden, an denen wir mit minimalem Aufwand einen maximalen praxistauglichen Gewinn erzielen. Auch enttäuschte Hoffnungen wird es geben müssen.

Welche Chancen entstehen denn langfristig durch die Digitalisierung? 

Bett: Letztendlich brauchen wir flexible, intelligente Lösungen für ein nachhaltiges Energiesystem. Es heißt ja nicht umsonst „Smart Grid“. Und da sind die Photovoltaik und die Anwendung mit anderen Technologien im Energiesystem der entscheidende Schlüssel. Flexibel und intelligent Photovoltaik zu betreiben, ist ein langfristiges Ziel, um auch die maximale Nutzung der erzeugten Energie zu bekommen. Damit sind wir im Prinzip bei Energieeffizienz und Kostenoptimierung. 

Brendel: Ich glaube, langfristig erhöht Digitalisierung schlicht die Effizienz an vielen Stellen des Energiesystems. Die Datensicherheit und die Integrität der Systeme sind dabei zu erhalten. Mit neuen Methoden sind schon immer auch neue Herausforderungen im regulatorischen Bereich zu meistern. Aber die Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung überwiegen ganz klar die Risiken.

Das Interview führte Meike Bierther, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.

Photovoltaik als Forschungsthema ist Inhalt des Fachportals Strom-Forschung.de

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