Dächer in Südlage - ideal geeignet für die Versorgung mit Solarenergie.
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30.04.2021 | Energiewendebauen, Start-ups

Gebäude und Quartiere: Klimaneutral dank Zukunftstechnologien

Bis 2050 peilt die Bundesregierung einen klimaneutralen Gebäudebestand an. Die dazu notwendigen Technologien stehen bereit. Wie sie eingesetzt werden müssen, diskutierten Experten im Rahmen der Berliner Energietage auf der Veranstaltung „Hochgradig erneuerbar versorgte Gebäude und Quartiere“.

29 Jahre sind eine kurze Zeit, um den deutschen Gebäudesektor zu dekarbonisieren, also Klimaneutralität zu erreichen. Auf „Zukunftstechnologien“, die erst in Jahrzehnten marktreif sind, kann man da nicht mehr setzen. Doch es gibt Innovationen, die heute schon verfügbar, aber noch nicht in der Breite genutzt sind. Einige stellten Energieforscher auf den Berliner Energietagen vor.

Die Veranstaltung „Hochgradig erneuerbar versorgte Gebäude und Quartiere“ gab einen Einblick in das aktuelle Arsenal der angewandten Energieforschung, das den Gebäudebestand weitgehend CO2-neutral machen soll. Welche Relevanz dieser Sektor für die gesamten Klimaziele hat, machten die Teilnehmer*innen an zwei Hauptaspekten deutlich:

Gebäude und Quartiere: Hohe Emissionen, hoher Vorbildcharakter

Zunächst betonte Prof. Dr. Hans-Martin Henning, Institutsleiter beim Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE und Vorsitzender Expertenrates für Klimafragen der Bundesregierung, dass Strom nur einen kleinen Teil des deutschen Energieverbrauchs ausmache. Wärme und Kälte hingegen seien der relevanteste Posten. Zustimmung erntete er von Dr. Harald Drück von der Universität Stuttgart. Denn der Wärme- und Kältebedarf machten Gebäude zum größten Treibhausgasemittenten.

Dr. Rodoula Tryfonidou, Leiterin des Referats Energieforschung - Grundsatzfragen und Strategie im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) unterstrich zudem, dass sich in diesem Bereich systemische Lösungen besonders gut darstellen lassen. Beispielhaft stünden die neu geschaffenen Reallabore dafür, wie systemische Förderung aussehen könne. „Der Gebäude- und Quartiersbereich profitiert davon, dass wir statt auf Einzelmaßnahmen mehr auf interdisziplinäres Arbeiten setzen.“

Die anwesenden Praktiker belegten dies durch vorgestellte Forschungsprojekte. Zum Beispiel „LowEx-Bestand“, von dem Henning berichtete: In diesem Verbundprojekt werden mit zahlreichen Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft sogenannte LowEx-Systemkonzepte für Mehrfamilien-Bestandsgebäude umfassend analysiert, weiterentwickelt und demonstriert. LowEx steht dabei für niedrige Exergie, also einen Ansatz, Temperaturdifferenzen zwischen Komponenten des Wärmesystems (und damit auch die Exergie-Verluste) so gering wie möglich zu halten.

 Ausführliche Informationen zum Projekt LowEx-Bestand finden Sie auf energiewendebauen.de

Stellschrauben für weniger Emissionen

Im Bereich der Gebäude sieht Henning dabei zwei große Stellschrauben, um die Klimaziele zu erreichen: die energetische Sanierung der Gebäudehülle und den Einsatz klimaschonender Wärmetechnik. Letztere werde beim Erreichen der Zwischenziele die wichtigere Rolle spielen.

Schon eine Publikums-Abstimmung vor seinem Vortrag hatte gezeigt, dass die anwesenden Expert*innen Wärmepumpen und Quartierswärmenetze als wichtigste Mittel sehen, um Gebäude nachhaltig mit Energie zu versorgen.

Wärmepumpe
Über Geschmack lässt sich streiten - nicht aber über den Nutzen, den Wärmepumpen für einen klimaneutralen Gebäudebestand haben. (©U. J. Alexander - stock.adobe.com)

Weitere Schlüsseltechnologien sind für Henning Photovoltaik (PV), Solarthermie und eventuell auch die Kombination in PV-T-Anlagen. Sie können Energie lokal liefern. Zu einem Platzproblem auf Dächern dürfte es dabei nicht kommen, das zeigten aktuelle Studienergebnisse. Die Wärmebereitstellung über Wärmepumpen werde sicherlich relevant, auch Klein-BHKW und der Einsatz von Wasserstoff seien denkbar. Bei den Speichern seien Batterie- und Wärmespeicher interessant.

Quartiersweite Wärmenetze, Lüftung, intelligente Regelungssysteme und die Möglichkeiten der Elektrofahrzeuge (etwa über bidirektionales Laden oder die Speicher-Mitnutzung) seien weitere relevante Aspekte. Allerdings gebe es in Gebäuden auch Hemmnisse für den Einbau von Wärmepumpen. Die begrenzte Fläche für die Wärmequelle, Schallemissionen, hohe Investitionskosten oder das Investor-Nutzer-Dilemma in Mietwohnungen beispielsweise.

Künstliche Intelligenz optimiert Netze

Dr. Oliver Steffens von der Ostbayrischen Technischen Hochschule Regensburg schilderte Erkenntnisse aus der energetischen Modernisierung des genossenschaftlichen Wohnquartiers Margaretenau in Regensburg. Dort soll ein hybrides Heizsystem mit Wärmepumpe, BHKW sowie dynamischer, vorausschauender Anlagensteuerung das Gebäude versorgen.

Ausführliche Informationen zum Projekt MAGGIE finen Sie auf Energiewendebauen.de

Die Optimierung geschieht in Echtzeit im laufenden Betrieb und bezieht Nutzerprofile, Strombörse und Wetterdaten mit ein. Die Steuerung verbessert ihre Prognosen durch den Einsatz neuronaler Netze.

Auch im Projekt Best.Heat.Net kommt Künstliche Intelligenz zum Einsatz: Prof. Dr. Mario Adam, Leiter des Zentrums für Innovative Energiesysteme (ZIES) an der Hochschule Düsseldorf, beschrieb, wie sich ein Niedertemperaturnetz mit Machine Learning optimieren und regeln lässt.

Dr. Bernd Hafner, Chief Engineer Commercial Systems bei Viessmann Climate Solutions, beleuchtete die Unternehmenssicht auf integrierte solare Versorgungskonzepte für klimaneutrale Gebäude. Für ihn erfordert Klimaneutralität eine saisonale Speicherung, etwa über Eisspeicher und photovoltaisch-thermische Sonnen-Luft-Kollektoren. Er hob zudem den Aspekt der internationalen Vernetzung hervor, die Synergieeffekte ermögliche und den Wissenstransfer beschleunige.

Internationale Zusammenarbeit wird etwa im neuen Task 66 des SHC-Programms („Solar Heating and Cooling") der Internationalen Energieagentur stattfinden. Ab Juli beschäftigt sich dieser Task mit dem Namen „Solar Energy Buildings“ mit integrierten Solar-Konzepten für klimaneutrale Gebäude und Quartiere.

Bundeswirtschaftsministerium fördert Energieforschung

Für den Wissensaustausch zwischen Wirtschaft und Wissenschaft warb auch Constanze Marambio, Koordinatorin des Forschungsnetzwerks Energiewendebauen. Die vom BMWi initiierten Forschungsnetzwerke sollen nicht nur den Austausch stärken, sondern unterstützen den Transfer von Ergebnissen aus der Energieforschung in die Praxis und bieten als Expertengremium die Möglichkeit zur Partizipation an energiepolitischen Fragestellungen.

Wichtig sei auch, die Ergebnisse der Energieforschung zu kommunizieren. Auch die Probleme. „Denn nur, wenn diese bekannt sind, lassen sie sich auch lösen“, so Tryfonidou.

Insgesamt stellt das BMWi für die Energieforschung hohe Mittel zur Verfügung, die zuletzt noch einmal leicht angestiegen sind. Der Bundesbericht Energieforschung, der am 5. Mai im Kabinett beschlossen werden soll, wird darüber einen detaillierten Überblick bieten.

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