Portrait Verena Klapdor
(Bild: Verena Klapdor)
30.07.2020 | Flexible Energieumwandlung

Wasserstoff und Biogas: Den Turbo für die Turbinenforschung einlegen

Turbinen sind das Herzstück konventioneller Kraftwerke. Doch durch die Energiewende kommen neue Aufgaben auf sie zu. Statt Kohle kommen vermehrt Biogas, Abfall oder Wasserstoff zum Einsatz. Welche Herausforderungen damit für die Turbinen verbunden sind, erläutert die Maschinenbau-​Ingenieurin Verena Klapdor.

Frau Klap­dor, die klas­si­sche, dampf­be­trie­be­ne Tur­bi­ne für ein Groß­kraft­werk hat in Zei­ten der En­er­gie­wen­de Kon­kur­renz be­kom­men. Heut­zu­ta­ge sind um­welt­freund­li­che und trotz­dem ef­fi­zi­ent ar­bei­ten­den Tur­bo­ma­schi­nen ge­fragt. Woran muss ge­forscht wer­den?

Die Fle­xi­bi­li­sie­rung un­se­rer Tur­bo­ma­schi­nen ist ent­schei­dend. Dampf­tur­bi­nen im kom­bi­nier­ten Gas- und Dampf­be­trieb nut­zen die Rest­wär­me des Ab­ga­ses der Gas­tur­bi­ne. Sie er­zeu­gen nicht nur zu­sätz­li­chen Strom, son­dern lie­fern in Kraft-​Wärme-Kopplungs-Anlagen auch die Wärme für un­se­re Fern­wär­me­net­ze und in­dus­tri­el­le An­wen­dun­gen. Bei der­ar­ti­gen KWK-​Anwendungen er­rei­chen wir Brennstoff-​Nutzungsgrade von bis zu 90 Pro­zent. Da die Strom­ver­sor­gung durch Wind und Sonne über län­ge­re Zeit­räu­me stark schwankt, müs­sen Tur­bi­nen dies aus­glei­chen. Das be­deu­tet kon­kret immer kom­ple­xe­re Last­ver­läu­fe, die Ma­te­ria­li­en und das De­sign her­aus­for­dern.

Wie sehen Sie die Chan­ce, in Zu­kunft auch was­ser­stoff­hal­ti­ge Gase als Brenn­ma­te­ri­al ein­zu­set­zen?

Die Chan­cen dafür schät­ze ich hoch ein. Was­ser­stoff ent­hält im Ver­gleich zu Erd­gas und Kohle kei­nen Koh­len­stoff. Somit ent­steht beim Ver­bren­nungs­pro­zess auch kein CO2. Aber durch den Was­ser­stoff er­hö­hen sich die An­for­de­run­gen an das Ver­bren­nungs­sys­tem und die Pe­ri­phe­rie er­heb­lich, das muss man wis­sen. Ein Bei­spiel: Da eine Was­ser­stoff­flam­me an­de­re Brenn­ei­gen­schaf­ten als eine Erd­gas­flam­me hat, müs­sen die be­stehen­den Ver­bren­nungs­sys­te­me durch neue er­setzt wer­den. Das heißt, wir müs­sen Zünd­ver­zugs­zei­ten, Flam­men­sta­bi­li­sie­rung, Stickstoffoxid-​Bildung bei der Ver­bren­nung sowie die Akus­tik in der Brenn­kam­mer neu be­wer­ten und ent­spre­chen­de Tech­no­lo­gien für den neuen Brenn­stoff ent­wi­ckeln.

Diese For­schungs­auf­ga­ben wer­den nicht von heute auf mor­gen ge­löst sein.

Si­cher nicht. Am Ende wird es eine Zeit­fra­ge sein, ver­gleich­bar mit der Ein­füh­rung der So­lar­tech­no­lo­gie. Am An­fang war auch diese zu teuer im Ver­gleich zu eta­blier­ten Tech­no­lo­gien. Das hat sich in den letz­ten Jah­ren ge­än­dert. Auch Was­ser­stoff kann bei ent­spre­chen­den Rah­men­be­din­gun­gen durch die Po­li­tik und For­schungs­an­stren­gun­gen in der In­dus­trie und den For­schungs­ein­rich­tun­gen und Hoch­schu­len öko­no­misch pro­du­ziert und trans­por­tiert wer­den. Gas­tur­bi­nen leis­ten dann einen wich­ti­gen Bei­trag. Sie kön­nen den über­schüs­sig pro­du­zier­ten, in Was­ser­stoff trans­for­mier­ten Strom wie­der rück­ver­stromen. Ins­be­son­de­re kön­nen vor­han­de­ne Kraft­wer­ke – bei ent­spre­chen­der Eig­nung – auf den Be­trieb mit Was­ser­stoff um­ge­rüs­tet wer­den.

Ist Di­gi­ta­li­sie­rung ein For­schungs­the­ma?

Un­be­dingt. Di­gi­ta­li­sie­rung hilft uns, die kom­ple­xen Be­rech­nun­gen, die in der Aus­le­gung von Tur­bo­ma­schi­nen be­nö­tigt wer­den, zu au­to­ma­ti­sie­ren und op­ti­mie­ren. Dar­über hin­aus kön­nen wir zum Bei­spiel mit­hil­fe eines di­gi­ta­len Zwil­lings den kom­ple­xen Be­trieb einer Ma­schi­ne di­gi­tal si­mu­lie­ren und so Ser­vice­be­dar­fe früh­zei­tig iden­ti­fi­zie­ren.

Worin sehen Sie die Vor­tei­le von For­schungs­ge­mein­schaf­ten, ins­be­son­de­re des For­schungs­netz­werks Fle­xi­ble En­er­gie­um­wand­lung?

Im For­schungs­netz­werk Fle­xi­ble En­er­gie­um­wand­lung haben alle For­schen­den und In­dus­trie­ver­tre­ter, aber auch Pri­vat­per­so­nen, die Mög­lich­keit, sich über den neu­es­ten Stand der For­schung zu in­for­mie­ren. Zudem kommt es zu Syn­er­gien, wel­che die vor­wett­be­werb­li­che For­schung vor­an­brin­gen. Beim letz­ten Mee­ting der Ar­beits­grup­pe „Tur­bo­ma­schi­nen“ hat­ten wir zum Bei­spiel die Si­tua­ti­on, dass ein Vor­tra­gen­der von sei­nem For­schungs­vor­ha­ben be­rich­te­te, in dem ihm be­son­de­res Know-​how fehl­te. Ein an­de­rer Teil­neh­mer hat genau die­ses Know-​how. Viele Her­aus­for­de­run­gen kön­nen nur ge­löst wer­den, wenn Men­schen mit den un­ter­schied­lichs­ten Hin­ter­grün­den auf­ein­an­der­tref­fen. Das wird durch die For­schungs­netz­wer­ke des BMWI er­mög­licht.

Zur Per­son: Die pro­mo­vier­te Maschinenbau-​Ingenieurin ist Lei­te­rin der Gas­tur­bi­nen­tech­no­lo­gie bei Sie­mens En­er­gy und Spre­che­rin des For­schungs­netz­werks Fle­xi­ble En­er­gie­ver­sor­gung. Dort lei­tet sie zudem, ge­mein­sam mit Pro­fes­sor Peter Jeschke von der RWTH Aa­chen,  die Ar­beits­grup­pe „Tur­bo­ma­schi­nen“.

Das In­ter­view führ­te Ilse Traut­wein, Wis­sen­schafts­jour­na­lis­tin beim Pro­jekt­trä­ger Jü­lich.

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