Porträtbild von Hans-Martin Henning - Leiter  des Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme
(Bild: Fraunhofer ISE)
02.12.2019 | Bioenergie, Energiewendebauen, Erneuerbare Energien, Flexible Energieumwandlung, Industrie und Gewerbe, Start-ups, Stromnetze, Systemanalyse

Grüner Wasserstoff: „Die Nischen suchen, wo er zuerst wirtschaftlich ist“

Auf der Jahrestagung des Forschungsverbunds erneuerbare Energien hat Hans-Martin Henning  vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in einem Interview über Wasserstoff und seine Bedeutung für die Energiewende gesprochen.

Hans-Martin Henning  ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme. Seine Forschungseinrichtung ist Partner in mehreren vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Forschungsvorhaben und Mitglied der Forschungsnetzwerke Energie.

Ist grüner Wasserstoff aus ihrer Sicht der Energieträger der Zukunft?

Ich würde sagen, nicht der Energieträger der Zukunft, sondern ein Energieträger der Zukunft. Wir müssen uns vor Augen halten, dass grüner Wasserstoff aus erneuerbarem Strom hergestellt wird. Und das heißt: Wir brauchen die entsprechende Erzeugungskapazität, beispielsweise an Solar- und Windstrom, um Wasserstoff bereit zu stellen. Deshalb ist er ein Baustein, aber wir sollten Wasserstoff nicht als den Hoffnungsträger schlechthin sehen, der alle anderen Innovationen und Konzepte im Bereich Energie obsolet macht.

Was bedeutet grüner Wasserstoff für die Energieforschung, wenn er als Energieträger ein wichtiger Baustein der Energiewende ist?

Zentral ist die Technologie. Dafür müssen wir die Elektrolysetechnologien mit ihren Elektroden, Membranelektrodeneinheiten, Stacks uns so weiter dahin entwickeln, dass sie hochskalierbar werden. Denn deren Herstellung im industriellen Maßstab kann dann auch die Kosten reduzieren. Wir sollten uns genau anschauen, wo Wasserstoff überall eingesetzt werden kann: Das ist zum einen der Verkehr, aber auch ganz stark die Chemieindustrie. Hier stammt der eingesetzte Wasserstoff bisher fast ausschließlich aus fossilen Ressourcen. Genau deshalb sollten wir uns ansehen, wo Anwendungsfelder für den Wasserstoff liegen und insbesondere die Nischen beschreiten, in denen die Wirtschaftlichkeit zuerst gegeben ist.

Gehen Sie davon aus, dass Deutschland ein Innovationsführer für Wasserstoff als Energieträger werden kann?

Ja, ich bin eigentlich sehr zuversichtlich, dass wir da in einer führenden Rolle mitspielen können. Anders als bei anderen Technologien haben wir hier noch nicht so einen Technologierückstand wie beispielsweise im Bereich der Lithium-Ionen-Batterie-Zellen, wo asiatische Firmen klar führend sind. In dieser Technologie versuchen wir eher den Anschluss zu erreichen. Bei Wasserstoff sind wir aber insgesamt ein paar Jahre früher dran und haben sowohl eine gut entwickelte Forschungslandschaft wie auch eine herstellende Industrie. Insofern könnten wir da über die gesamte Wertschöpfungskette zu einem globalen Beteiligten werden und eine führende Rolle bei der Technologieentwicklung und -umsetzung übernehmen.

CO2-armer Wasserstoff ist auch das zentrale Thema des Ideenwettbewerbs Reallabore. Kann aus Ihrer Sicht die Energiewende mit den Reallaboren vorangetrieben werden?

Ich denke schon, dass Reallabore ein notwendiger Schritt und ein guter Beitrag für die Energiewende sind. Sie sind aber nicht die einzige Antwort: Wir brauchen weiterhin Forschung und Entwicklung innovativer Technologien und all der anderen Komponenten. Was die Energiewende ausmacht ist ihre Komplexität – ihr Systemcharakter sozusagen. Wir transformieren das System zu einem vernetzten System mit verschiedenen Energieträgern, verschiedenen Anwendungsbereichen, die alle zusammenwirken. Und dafür sind Reallabore hervorragend geeignet, um sozusagen am lebenden Objekt Dinge zu erproben und daraus zu lernen. Dazu gehört auch neue Geschäftsmodelle auszuprobieren, die heute möglicherweise noch nicht wirtschaftlich sind. Mit den Reallaboren können wir Gewissheit erlangen, dass Innovationen im Bereich Energie flächendeckend funktionieren, bevor sie für die Praxis ausgerollt werden.

Inwiefern ist für sie als Forscher das Forschungsnetzwerk Energie hilfreich bei Ihrer Arbeit?

Die Komplexität der Energiewende macht es notwendig, dass wir in einen intensiven Austausch gehen mit Akteuren aus der eigenen Fachdisziplin, aber eben auch darüber hinaus bis hin zu transdisziplinärem Arbeiten: Das heißt aus dem Wissenschaftssystem heraus, Bürgerinnen und Bürger sowie andere Stakeholder miteinbeziehen. Es reicht nicht, nur Technologien für die Energiewende zu entwickeln. Wir brauchen ein umfassendes Systemverständnis und dafür auch Experten wie Juristen und Politikwissenschaftler, um der Komplexität des Gesamtsystems gerecht zu werden. Da sind die Forschungsnetzwerke ein guter Hebel, um den Austausch zu bewerkstelligen und daraus entsprechende Forschungsfragestellungen abzuleiten, die als nächstes angegangen werden müssen.

Das Interview führte Annika Zeitler, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.

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