Digitalisierung: So können Stadtwerke und Energieversorger KI einbinden und nutzen
Eine Veranstaltung der Reihe SW.aktiv, organisiert durch den Themenverbund „Aktivierung der Stadtwerke“, zeigte Potenziale von Digitalisierung und KI für Stadtwerke auf – und geeignete Wege, mit der Implementierung zu beginnen. Mit-Ausrichter AGFW hat einen Bericht zu der Veranstaltung verfasst.
Wer einen KI-Chatbot fragt, was Ansatzpunkte für den Einsatz von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz bei Stadtwerken sind, erhält sinngemäß folgende, nicht falsche Antwort:
Die Digitalisierung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bieten Stadtwerken viele Möglichkeiten, ihre Betriebsabläufe zu verbessern, die Energieversorgung zu optimieren und den Kundenservice zu revolutionieren. Gleichzeitig treten jedoch Probleme und Herausforderungen auf. Die wichtigsten lassen sich in technische, organisatorische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte gliedern.
So weit, so allgemein. Die Vorträge der Experten bei der SW.aktiv-Veranstaltung im Dezember gingen deutlich tiefer ins Detail und zeigten, dass es so leicht leider noch nicht ist: KI kann bereits viel und ist durchaus nützlich – jedoch (noch) nicht für jeden Anwendungsfall und auch (noch) nicht ohne die Mitwirkung durch biologische Intelligenz: uns Menschen.
Studie zu den Potenzialen Künstlicher Intelligenz in der Energiewirtschaft
Der einleitende gemeinschaftliche Vortrag von Jörg Brünnhäußer und Terence Larusch, beide wissenschaftliche Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) in Berlin, stellte Studienergebnisse zum Einsatz von KI für ein fiktives Mehrspartenstadtwerk vor. Die beiden betrachteten die sechs Geschäftsbereiche Netz, Beschaffung & Risikomanagement, Kundenbetreuung & -abrechnung, Prosumer, Administration und Erzeugung. Für jede Sparte identifizierten sie die Kern- und Teilprozesse sowie deren Unteraktivitäten und bewerteten diese anhand von acht KI-Faktoren (unter anderem Datenzugriff und Datenbestand) hinsichtlich der KI-Eignung und dem erwartbaren Nutzen. Die Bewertung erfolgte durch unabhängige Fachleute sowie durch eine extensive Literaturrecherche.
Über SW.aktiv
Die Reihe SW.aktiv wird durch den Themenverbund „Aktivierung der Stadtwerke“, bestehend aus AGFW, DVGW-Forschungsstelle am Engler-Bunte-Institut des KIT und Fraunhofer UMSICHT organisiert, durch den Projektträger Jülich organisatorisch unterstützt sowie durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Immer dienstags um 15 Uhr werden zu den bekanntgegebenen Terminen Praxiserfahrungen, Informationen und Impulse rund um Energiethemen auf lokaler Ebene vorgestellt und diskutiert.
Alle Informationen zur ReiheDas Zwischenergebnis zeigte, dass in allen Geschäftsbereichen KI-Potenziale existieren, vor allem bei Datenanalyseprozessen, jedoch nicht in allen Unteraktivitäten, wie zum Beispiel bei baulichen Tätigkeiten. Um die KI-Eignung zu bestimmen, sei immer eine Detailanalyse jedes Prozesses nötig.
In Vertiefungsworkshops setzten sich Stadtwerke mit den Zwischenergebnissen auseinander und erarbeiteten das KI-Use-Case-Potenzial und die KI-Journey. Das KI-Use-Case-Potenzial ordnet die verschiedenen Prozesse der unterschiedlichen Geschäftsbereiche hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit und benötigten Voraussetzungen für KI-Anwendungen ein. Stadtwerke können so beispielsweise die „Low-Hanging-Fruit“-Prozesse (hohe Umsetzbarkeit, geringe Voraussetzungen) für KI-Anwendungen identifizieren. Die KI-Journey wiederum teilt die KI-Befähigung eines Stadtwerks in vier Stufen ein: Starter, Anwender, Gestalter und Experte. Anhand der genannten Eigenschaften der jeweiligen Stufe können Stadtwerke bestimmen, auf welcher Stufe sie sich befinden. Je höher die Stufe, desto eher können sich Stadtwerke an die „High-Hanging-Fruit“ (niedrige Umsetzbarkeit, hohe Voraussetzungen) des KI-Use-Case-Potenzials heranwagen.
Das Projekt AMAZING – Datenbasierte Netzlösungen für intelligente Verteilnetze von morgen
Die ersten Schritte ihrer KI-Journey haben die Stadtwerke Stuttgart bereits getan: Im Projekt AMAZING, über das Dr. Konstantin Glaser von den Stadtwerken Stuttgart und Lukas Ketterer von Fichtner IT Consulting berichteten, wird eine zentrale, cloudbasierte Datendrehscheibe, genannt „EDDIE“, entwickelt. Diese sammelt Daten der Stadtwerke, etwa Geoinformations- (GIS), Messtechnik- (EMS) und betriebswirtschaftliche (ERP) Daten. Diese werden nicht nur in ihren unterschiedlichsten Formaten zusammengestellt, sondern auch aufgearbeitet, vereinheitlicht und in standardisierter Form den einzelnen Nutzenden für ihre jeweiligen Anwendungsfälle zur Verfügung gestellt, wie zum Beispiel zur Netzmodellsimulation oder der Steuerung von Prozessen.
Als wichtige Erkenntnisse bei der Entwicklung von EDDIE nannten die Vortragenden Interoperabilität, Stabilität, Zugriff, Kontrolle, Struktur, Monitoring und Visualisierung. Interoperabilität, Stabilität und Kontrolle sind dann gegeben, wenn alle intendierten Nutzenden (Interoperabilität) die Datendrehscheibe ohne Probleme (Stabilität) und nur im Rahmen Ihrer Autorisierung (Zugriff) verwenden können. Damit die Aspekte Kontrolle, Struktur, Monitoring und Visualisierung gewährleistet sind, bedarf es Expert:innen, welche die Plattform überwachen (Kontrolle), eine geordnete Plattform sicherstellen (Struktur), den Betrieb auf der Plattform überwachen (Monitoring) und die Daten in geeigneter Weise für die Nutzenden anschaulich darstellen (Visualisierung).
Damit die Datendrehscheibe EDDIE ihren Zweck erfüllt, aus Daten Werte zu schaffen, bedarf es auch der Zuarbeit von Fachpersonal – sowohl auf Seite der Anwendenden als auch der Bereitstellenden.
Digitalisierung als praktisches Werkzeug zur Verbesserung der Fernwärmeversorgung
Die Energiegenossenschaft Erfurtshausen, welche ein sechs Kilometer langes, erneuerbares Nahwärmenetz betreibt, hat zwar die KI-Journey noch nicht beschritten, jedoch bereits alle Vorarbeiten dafür geleistet, wie Dr. Volker Seumer, Aufsichtsratsvorsitzender der Genossenschaft, berichten konnte. Für den Einsatz von KI werden digitale Daten benötigt – und das Wärmenetz in Erfurtshausen, inklusive der Hausstationen, ist bereits vollständig digitalisiert. Die Messdaten von Fluss, Druck und Temperatur werden an die Leitwarte geleitet und dort derzeit noch zu 100 Prozent von den ehrenamtlichen Mitarbeitenden ausgewertet und überwacht.
Anhand von vier Beispielen aus der Praxis – zwei für Fehleranalyse und -behebung, zwei für vorausschauende Wartung – veranschaulichte Seumer den Nutzen der Digitalisierung für das Nahwärmenetz und die Kunden. Mittels bidirektionaler Glasfaserkommunikation zwischen Leitstelle und Hausstationen können Fehler, wie ein Temperaturfühler mit Wackelkontakt, erkannt und zeitnah, durch „auf Hand“ Stellung des Primärventils, provisorisch bis zur endgültigen Reparatur behoben werden. Ferner können schleichende Veränderungen, etwa Drifts in einer Ventilstellung, frühzeitig erkannt und behoben werden, bevor es zu Problemen bei der Wärmeversorgung kommt. Nur durch den hohen Digitalisierungsgrad und die konsequente Auswertung der vorhandenen Daten sind der effiziente Betrieb des Netzes und die gleichzeitige Wahrung der hohen Kundenzufriedenheit möglich.
Fazit: Ohne Menschen geht es nicht
Digitalisierung und KI sind bei den Stadtwerken angekommen. Die Potenziale von KI sind von Anwendung zu Anwendung unterschiedlich. Vor der Implementierung etwaiger KI-Anwendungen ist eine vorherige detaillierte Potenzialanalyse geraten. Ferner hängt die Umsetzbarkeit und der Erfolg vom KI-Kenntnisstand des Stadtwerks ab. In allen Belangen ist der Faktor Mensch miteinzubeziehen. Nur geschulte Anwendende können das Potenzial von KI heben und deren Unzulänglichkeiten korrigieren. Ausgangspunkt jeder KI-Journey ist jedoch die Digitalisierung – die saubere, verlässliche Erfassung aller relevanten Daten in digitaler Form.